Schützenverein Mussum 1910 e.V.

Historie der Gemeinde Mussum

 

Über die Geschichte von Mussum ist schon das ein oder andere Mal an verschiedenen Stellen berichtet worden. Zu nennen sind hier u.a. Aufsätze über Mussum von Dr. Elisabeth Broker, Franz Schluse und Christoph Krabbe, Aloys Tekotte und Heinrich Weber. Zum Teil sehr ausführlich, zum Teil sich mit besonderen Themen Mussums befassend. Im Nachfolgenden soll nun ein kurzer Abriss über die gesamtgeschichtliche Entwicklung Mussums gezeigt werden.

Die „Keimzelle“ Mussums liegt im Mussumer Esch. Mit dem aus dem gotischen stammenden Wort Astik (=Esch) ist Saatfeld oder Ackerland gemeint. Esch bezeichnet somit das älteste Kulturland einer Siedlung. Der Esch bestand aus schmalen, langstreifigen Parzellen, die 5 bis 30 Meter lang sein konnten. Um den Esch siedelte die Eschgenossenschaft. Das waren die ältesten Höfe der Gemeinde, die in Gruppen von 3 bis 10 zusammen lagen und ein kleines lockeres Haufendorf (Trupp oder Hoeck) bildeten. Bis heute haben sich davon die fünf „Hööke“ in Mussum erhalten, die noch immer im Sprachgebrauch vertreten sind: Egelinghook (Enkhook), Laakerhook, Harderhook, Fissershook und Brinkhook. Diese Hööke umrahmten den Esch und bildeten so die ältesten Höfe der Siedlung. Sie waren im allgemeinen Vollerben oder die durch die Teilung der ursprünglichen Höfe entstandene Halberben. Bis etwa 800 n. Chr., in der für unsere Gegend noch vorchristlich germanischen Zeit war der Esch die vorherrschende Siedlungsform. In dieser Zeit war es auch, dass unter Karl dem Großen die Christianisierung unserer Region begann und der hl. Liudger in Bocholt die Urpfarre St. Georg gründete.

Um seinen Sieg über die Sachsen im Jahr 779 zu festigen, siedelte der Frankenkönig Karl der Große die hier zuvor ansässigen Sachsen auf fränkisches Gebiet um. Auf die bestehenden und eingezogenen Höfe siedelte er nun fränkische Kolonisten an. Aus diesen fränkischen Kolonistenhöfen entstanden später die so genannten Freistuhlbauern, d. h. die Inhaber der Freistuhlgüter, die mit besonderen Rechten und Gerichtsbarkeiten ausgestattet waren. Im Mittelalter gab es zahlreiche Freistühle in den Bauernschaften südwestlich und westlich von Bocholt. Mussum hatte 8 (u.a. Klein-Hebing Nr.l., Groß-Hebing Nr.2., B(a)erkinck Nr.30, Doeinck Nr. 58, Thelinck Nr.74), Herzebocholt hatte ebenfalls 8, Liedern 11, Lowick 4, Spork l, Hemden 3, Stenern 2, Holwick und Barlo 0. Hieraus kann man sehen, dass Mussum offenbar bereits dichter und auch früher als andere Bauernschaften besiedelt war.

Da das Eschland für das Überleben der Höfe oft nicht ausreichend war, standen den Bauern ..Gemeinheitsgründe" außerhalb des Esches zur Verfügung. Es bestand aus Heide, Wald und Weideland und wurde als Mussumer Mark bezeichnet. Anteile und Nutzungsberechtigungen an dieser Mussumer Mark waren auf die vorhandenen Höfe verteilt und wurden untereinander auch gehandelt. Als mit zunehmender Besiedlung im Mittelalter und in den späteren Jahrhunderten das alte Kulturland nicht mehr ausreichte, begann man in der Mark geeignete Stellen zu roden und in Ackerland umzuwandeln. So entstanden außerhalb des Eschgebietes weitere Einzelhöfe. Vollerben und Halberben. Weil dadurch die gemeinsame Mark immer mehr zusammenschrumpfte, wurde das entstehen von neuen, vollwertigen Höfen nicht  mehr geduldet . Man ging dazu über, nur noch Kotten anzulegen. Die erste dieser Gruppe waren die Erbkötter, die nur einen geringen Anteil an den Markenberechtigungen hatten. In der Mussumer Mark hatten sie nur 1/3 des Anteils der Vollerben. Später im 16. Jahrhundert und besonders nach Beendigung des 30-jährigen Krieges kamen dann kleinere Siedler in die Mark hinzu. Markenkötter und Brinksitzer genannt. Mussumer Bruch, Seeheide und Morsse waren die Namen der nach der Teilung entstandenen Marken.

Am 22 April 1447 fand in Mussum eine Verhandlung des freien Stuhls zu Bocholt über eine Art Wegerecht statt, zu der „die gesamten Bauern der Bauernschaft Mueshem wie sie mit Namen und Zunamen geschrieben stehen.... aufgeboten und geheischet waren in den Freistuhl zu kommen ".

Das Interessante an dieser Liste ist weniger der Inhalt der Verhandlung als die Tatsache, das wir damit die erste bekannte Aufzählung womöglich aller Mussumer Höfe des Jahres 1447 vor uns haben. Die Liste spricht von ca. 17-19 Höfen: Bernt Wennekynch (Wenning), Joh. Hebynch (Hebing). Lambert Doediynch (und Sohn) Hinrich Doediynch (Döing), Joh. Wennekynch (Wenning),  Esselen Tedelynch,

Joh. uppen Slaghe, Gert ter Haert, Esselen Eghelynch (Egeling),

Werner Ledekynch (Leiting), Henrich ter Laeke (Lakemann),

Derick ter Laeke, Derick ter Leghe (Legemann), Herman Berkynch, Otte Wetlerynch, Henrich Tedelynch, Joh Ysselgrunt, Henrich upper Stuvenborch, Henne Berkynch und Esselen Egessynch (Essing).

Viele Namen, die auch heute noch in Mussum bekannt und in Gebrauch sind Die älteste Steuer- bzw. Schatzungsliste von 1488, also nur knapp 40 Jahre später, zählt bereits 32 Höfe auf. 10 Jahre später 1498/1499 in der Liste der Willkommensschatzung zur Neuwahl des neuen Bischofs zu Münster Conrad II. zählen wir 45 schatzungspflichtige männliche Einwohner in Mussum, die zum Teil sicherlich zusammen auf einem Hof lebten, so dass man innerhalb dieser 10 Jahre nicht von einer Steigerung der Hofesanzahl um weitere 13 ausgehen kann Einer der ältesten Höfe Mussums war zugleich der Namensgebende. Der Haupthof „curia Mueshem" wird in einer Urkunde von 1265 erwähnt.

Mussum oder Mueshem bedeutet nichts anderes als „Heim auf der Heide" (mus, mos = Moor oder Sumpfland. Niederung, auch heute noch: Morsse) 

 

Im Jahr 1568 begann für unsere Gegend - im besonderen auch für die benachbarte Niederlande im Kampf für die Unabhängigkeit von Spanien - eine von Kriegen und Leid geprägte Zeit. Sie dauerte bis 1648 und ist in Holland als der 80-jährige Krieg bekannt. Ein Teil davon war von 1618 bis 1648 der 30-jährige Krieg. Spanische und holländische Soldatentrupps zogen immer wieder brandschatzend, plündernd und mordend durch das Land. Auf Befehl der münsterschen Regierung wird 1596 wird ein Zustandsbericht über den schlimmen Zustand des Kirchspiels Bocholt verfasst. Die Bauernschaften werden der Reihe nach durchgesprochen Für Mussum gilt: „Alle Güter liegen wüst. Nienhaus der Pächter ist vergangenen Sommer gefangen und ganz verdorben. Busch wird nun aus der Stadt etwas bebaut, aber der Baumann ist gleichfalls gefangen und ganz verdorben und hat mehr geben müssen als alles Seinige in Grund und Boden wert ist. Telinck, der Mann ist ermordet und der Sohn ist gefangen. Rauenhorst ist verbrannt, Ritenhorst, ein Kotten, das Haus ist durch die Wirdischen abgebrochen." Nur nach und nach kamen die Bauern zurück auf Ihre Höfe oder sie wurden neu besetzt. Dazu passt eine Mitteilung aus dem Jahre 1608 aus dem „Manuale actorunr - dem Tagebuch des Klosters Marienfrede in Dingden, dass mit Hendrick und Roloff Egelinck die Abgaben neu verhandelt wurden. Dort heißt es wörtlich: „Wir haben wohlwollend mit ihnen gehandelt, weil sie so arm sind und von ihrer Hände Arbeit leben müssen" Erst 1609 kommt es zu einem Waffenstillstand. Aber kaum 10 Jahre vergehen, in denen sich die Bauernschaft nur wenig erholen konnte, bevor nun der 30jährige Krieg mit dem Prager Fenstersturz beginnt. Die Hessen besetzten lange Zeit das Münsterland und belagerten auch die Stadt Bocholt (1633-1650), die sie zwischen 1642 und 1645 zu einer Festung ausbauten. Zu den marodierenden Hessen wird später am 04/05. Juni 1655 Gerhard Benning aus Stenern aussagen, dass sie „sein Haus vom Gute abgebrannt" hätten.

Auch aus Mussum gibt es an diesem Datum einen Bericht: Arndt Schmeinck, Johann Lammers. Johann Doynch und V.J. Gebing erklärten unter Eid:" In 15 Jahren hätten folgende Güter: Resing. Große Lake. Leyking, Ersing, Poll, beide Breking, Henning, Heynck, Schmeinck. Teling. beide Egeling. Kosthorst, Ebbersstedde, Damstede und Bielefeldstede keine Bauleute gehabt und es sei daher in obigen Jahren kaum ein Viertel der Bauernschaft präsent gewesen ".

 

Wenige Jahre zuvor wütete um 1652/1653 die Pest im Bocholter Raum und forderte viele Opfer Da die Toten nicht mehr einzeln innerhalb der Stadt Bocholt beerdigt werden durften, wurde eilig in Mussum ein Pestfriedhof angelegt. Noch heute befindet sich an dieser Stelle das Bömkes-Kreuz, das als Nachfolgekreuz den ehemaligen Friedhof markiert. Nach Beendigung des 30jährigen Krieges und der Überwindung der Pest, nach Abzug der Hessen aus Bocholt im Jahr 1650 besserten sich die Verhältnisse nachhaltig, auch in Mussum. 1659 waren die meisten Höfe wieder bewohnt und 1662 zählte Mussum wieder die meisten - nämlich 333 - Einwohner.

 

Ab 1654 beginnen in der Urpfarre St. Georg die Kirchenbücher und ab 1662 gibt es ausführliche Hausschatzungsregister, die ein recht gutes Bild über die Besiedlung der einzelnen Höfe bietet. Von nun an beginnt eine recht lange Zeitspanne der Ruhe für die Bewohner in Mussum. Auf dem Hof Nedermollen (heute Eiting - Kapellemann) wird 1671 im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Krieg eine Kapelle „Beatae Mariae Virginis" für die Bewohner von Mussum, Liedern und Lowick errichtet. Sie diente auch zur „Erteilung katechistischer Instruktionen" und bildet den Beginn des Schulwesens in Mussum. Sie bestand wahrscheinlich bis etwa 1805.

Der erste wirkliche Schullehrer von Mussum ist der 1745 auf Kleine-Heynck Nr. 15 (Heute Wiesmann-Meistersbur) geborene Joannes Theodorus Kleine-Heynck. der im Jahr 1764 die Schulstelle auf seinem Hof vom Archidiakon erhielt.

Ein eigenes - noch heute erhaltenes - Schulgebäude bekam die Gemeinde im Jahr 1789 aufgrund steigender Einwohner- und Schülerzahlen. Zwischen 1840 und 1850 gab es in unserer Region eine Reihe von Jahren mit Missernten und Dürren.

Die Höfe konnten ihre Bewohner nicht mehr ernähren und so kam die Zeit der damals überall in Deutschland populären Amerika -Auswanderung,

besonders in den Jahren 1848-1851, weswegen die Einwohnerzahl in Mussum wie auch überall in den Bauernschaften nun wieder stark rückläufig war.

Viele Jungbauern, Knechte, Mägde oder auch ganze Familien verließen die Höfe ihrer Heimat, verkauften ihr gesamtes, weniges Hab und Gut und versuchten ihr Glück auf der anderen Seite des Atlantiks. Einige fanden es, andere wiederum nicht.

Noch heute gibt es Kontakte zu Nachfahren dieser Mussumer Familien, die in jener Zeit auswanderten. Vor der Zeit der Auswanderungswelle gehörte die Bauernschaft und natürlich die gesamte Region zum Fürstbistum Münster. Das änderte sich 1802 als die Franzosen das linke Rheinufer besetzten.

Die kirchlichen Fürstbistümer wurden eingezogen und weltlichen Fürsten zugewiesen. Somit fiel das ehemalige Fürstbistum Münster 1802 an das nun neue Fürstentum Salm, welches bis 1810 Bestand hatte.

Durch die militärischen Erfolge des französischen Kaisers Napoleon gehörte unsere Region zwischen 1810 und 1814 zum Kaiserreich Frankreich.

Dies ist heute noch anhand alter Urkunden auf den Höfen aus dieser Zeit nachzuvollziehen, da diese auf bläulichem Papier und in französischer Sprache verfasst sind. Nach den vernichtenden Niederlagen Napoleons in Rußland und Waterloo wird der Ex-Kaiser ins Exil auf die Insel Elba verbannt.

Der ..Wiener Kongress" von 1815 ordnete Europa völlig neu und schlug das Amt Bocholt an die Krone der Könige von Preußen, der es bis zur Gründung des Deutschen Reiches 1871 unterstellt war.

Dem Amt Liedern-Werth zugehörig wurde Mussum 1975 im Zuge der kommunalen Neugliederung der Stadt Bocholt eingemeindet, die ihre Kreisfreiheit verlor und somit nun auch dem Kreis Borken unterstellt wurde. Wer lange Zeit nicht mehr in Mussum war wird vieles nicht mehr wieder erkennen bzw. wieder finden.

 

Viele Höfe wichen in den letzten 30 Jahren dem expandierenden Industriepark und siedelten teils in der Nähe, teils in weiter Ferne neu an. Auf anderen Höfen wurde der Betrieb nach hunderten von Jahren ganz eingestellt.

Selbst Mussumern passiert es gelegentlich, dass man feststellen muss, schon wieder wurde ein Hof abgerissen und nichts deutet mehr darauf hin, dass Generationen von Bauern an dieser Stelle über Jahrhunderte dort ihr Werk verrichteten. Es wird mit der Zeit immer schwerer fallen, die genaue Lage von verschwundenen, aber noch bekannten Höfen zu lokalisieren.

Die räumliche Teilung Mussums durch die B67n und die B473 tun ihr übriges um eine Neuorientierung in Mussum zu erschweren. Der Industriepark bietet tausende von Arbeitsplätze und wird zur Zeit um ca. 20 ha erweitert, wovon der erste Bauabschnitt gerade entwickelt wird. Mussum verändert auch heute - oder gerade heute - immer noch rasant sein Gesicht

 

 

Text: Andreas Lübberdink